Laudatio Dr. Otto Martin - Ausstellung Kunstverein ingelheim 2018

Alles fließt - so sollte man vielleicht beginnen (!?) – und wäre damit schon mittendrin – mittendrin im Versuch, sich der besonderen Bildwelt von Andrea Wesseli zu nähern, sich zu vertiefen in die Inhalte, in die Technik ihrer Malerei und - nach dem Darüber-Hinaus, dem Weiter-Führenden zu fragen. Was ja auch den Reichtum der Kunst ausmacht! Hierbei kann es nun nicht um ein einmaliges Erkennen und endgültiges Festlegen gehen – sondern alles entsteht aus dem immer wieder neu aufzuladenden Energieaustausch zwischen Betrachter/in und dem einzelnen Bild - stets situativ. Dies ist Weg und Ziel zugleich. Entschleunigung ist dabei angesagt und die Bereitschaft, uns einzulassen auf die Kraft von Bildern, die in einer dichten Werkreihe den Fokus auf Spuren im Wasser richten.

Andrea Wesseli führt uns in stille Welten, zeigt uns Unspektakuläres, nimmt uns mit in eine andere Welt, die uns nicht fern und gleichzeitig doch so unbekannt ist - besser: die im Allgemeinen keine Beachtung findet. Eine Poesie des Einfachen/Vorgefundenen ist es, was sie uns vor Augen führt. Sich auf das Zufällige, auf das Schlichte der Gegenstände einzulassen, auf ihre dingliche Anwesenheit - und damit Bildwürdigkeit dem zu geben, was gewöhnlich nicht gesehen wird – dies sind die primären Intentionen der Künstlerin.

In der Summe geht es ihr um die archetypische Bildkraft des Gewordenen – um eine Art natura naturans – ohne künstliche, menschliche Arrangements. In der Konsequenz bleibt hier auch das Bild vom Menschen ausgespart.

Und damit ist eines der beliebtesten Wasser-Motive der Kulturgeschichte kein Thema (wir kennen es alle): >Narziss< ist es, der sich in sein eigenes Spiegelbild an einer Quelle verliebt - das Urbild aus der Antike für unstillbare Selbstliebe, die letztlich in den Tod führt. - Neben den mythischen Erzählungen  gibt es eine eigene Philosophie der Wasser-Metaphern. So kehrt die Quelle als Metapher immer wieder, sie verbindet sich mit dem Wissen, der Weisheit, der Wahrheit – aber genauso mit den Irrtümern, den Täuschungen, Trugschlüssen.- Dann: Man denke an das Sinnbild des Flusses: Das fließende Wasser, das den Verlauf der menschlichen Existenz verkörpert, es ist Symbol der vergehenden Zeit. Heraklit war der erste namentlich fassbare Philosoph, der alles Seiende mit einem strömenden Fluss verglich und sagte: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, weil alles sich unaufhaltsam verwandelt und nichts dauerhaft ist. Panta rhei - alles fließt, nichts ist beständig. - Dies wurde zur beherrschenden begrifflichen Fassung für das menschliche Dasein schlechthin, für unseren schwankenden, für unseren unsicheren Grund! -

Isaak Lewitan, ein russischer Landschaftsmaler, bekannte einmal in einem Brief: Ich habe die Natur noch nie so geliebt wie heute. Nie zuvor habe ich dieses göttliche Etwas so stark gespürt, das über allem ausgegossen ist. Mit Verstand und Analyse lässt es sich nicht begreifen, nur mit der Liebe. Ein Hauch von diesem ganz und gar romantischen Naturgefühl aus einer längst verflossenen Zeit umgibt diese Bilder. Nicht im Sinne von Pantheismus, von gegenwärtiger Seele der Natur - doch in Form einer intensiven Hinwendung, die man vielleicht gemalte Naturlyrik< nennen könnte. Die Essenz eines bestimmten Naturgefühls, gesehen, gespürt und später auf Leinwand festgehalten. Die Physiognomie einer gemalten Landschaft hängt von den gefühlsmäßigen Elementen der Landschaft ab, das heißt, vom Eindruck, den sie in uns erweckt. Ferdinand Hodler nannte es: die innere Schönheit des Gesehenen zu einer Art Seelenlandschaft zu erhöhen. Auch dies: Historie!                                                                          

Insgesamt: Das Wasser ist ein höchst populäres Bildmotiv innerhalb der Kunstgeschichte und ist in allen Bereichen der Bildenden Kunst zu finden – erinnert sei nur an die Brandungsbilder an der Atlantischen Küste von Gustav Courbet oder an die Motive von Claude Monet – Höhepunkte in der Kunstgeschichte. - Sucht man nun nach einem modernen Dachbegriff für die künstlerische Intention, die auch hier trägt, dann könnte man dies als Wiederkehr des Natürlichen in der Spätmoderne bezeichnen – ein Wort des Kunstwissenschaftlers Günther Metken in Bezug auf Wasser allgemein in der zeitgenössischen Kunst.             

Für Andrea Wesseli ist dies zu spezifizieren als Wiederkehr des Natürlichen im aktuellen Blick und in einem besonderen künstlerischen Zugriff :

Sonnenspiele unter Wasser sind zu entdecken. Ein wogendes Wellenmuster ist wie ein zartes Netz aus Licht und Wasser gespannt. Mit Übergang in die tieferen Zonen kommen Steinbrocken in den Blick. Eine Art Weg, übersät mit kleinerem Geröll, signalisiert da eine gewisse Sicherheit im Wasser; daneben beginnt eine tief- blaue Zone, die Unwägbares vermittelt.


Gegenbilder entstehen im Kopf: das Sich-in-Sicherheit-Befinden und die Gefahr, die unmittelbar angrenzen kann. Kein Zufall – eine emotionale Regie schwingt hier in Auswahl und Komposition mit. Zugleich wird spürbar: Wasser als Bild ist schwer zu definieren, weil es sich unbeständig bewegt. Die Spiegelbilder des Wassers können tanzen, hüpfen und sind imstande, ein mitschwingendes Spiel mit dem Wind zu treiben. Daher existiert ein Wasserspiegelbild immer nur augenblicklich. Außerdem kann es jederzeit durch eine Bewegung auf der Wasserfläche gestört oder zerstört werden.

Als Metapher des psychischen Spiegels könnte man das Phänomen fassen – etwa: Der Wasserspiegel ist eine zerbrechliche Grenzebene, die den Tiefenraum unter ihm abschließt und die Welt über ihm getreu reflektiert/sozusagen der Schnittpunkt, an dem Wirklichkeitserfahrung und das Unbekannte zusammentreffen –oder auch: eine flüssige Schwelle, die trennt und verbindet.

Die Künstlerin spricht von einem Dualismus – verweist auf das gleichzeitige Existieren zweier Welten.

Diese Spiegelbilder, die sich auf der Ebene der Wasseroberfläche entwickeln, sind Thema auf mehreren Bildern. Besonders eindrucksvoll wird deren Bildwirkung ausgespielt auf einem größeren Format am mittleren Wandabschnitt. (OT22)

Mit einem dichten Geflecht von Vegetativem wirkt das Bild nahezu vergittert: Es ist ein faszinierendes Ineinander von unterhalb und oberhalb und deren  Dazwischen-Grenze - eben der Wasseroberfläche. Ein Verwirrspiel im Wechsel von Seh-Ebenen. Was sich da im Wasser in grünlichen Tönen und in unterschiedlicher Intensität spiegelt – dies reflektiert als Schattengebilde, was dem Betrachter als direktes Bild verborgen bleibt. Eine indirekte Wahrnehmung, die eine Idee von dem vermittelt, was an knorrigen Ästen und Zweigen am Ufer wächst – ohne Laub, entweder abgestorbene Vegetation ist es oder es ist der Jahreszeit geschuldet? Es ist eine Bildzone, die an das antike Höhlengleichnis denken lässt, wo der Mensch, als Schatten dessen nur gesehen werden kann, was ihn als Idee Mensch auszeichnet – hier ist es der Schatten realen Wachstums. Die trockenen Uferpartien zeigen eine Erweiterung der bildnerischen Mittel aus jüngster Zeit: Zur Steigerung der plastischen Materialität sind geknüllte Papiere collagiert, die eine zusätzliche Bildtiefe erzeugen. Damit malerisch-plastische Akzente zur Erweiterung der naturalistischen Bildwirkung liefern – mit der Anmutung: erstarrtes Gestein vor sich zu haben.

Erstarrung anderer Art – bis hin zur Todes-Assoziation – begegnet in einer sich zufällig über Strömungen und Ablagerungen verfestigten Form – ein Tierschädel, skelettiert – ist zu erkennen. Er steht unübersehbar für ein memento mori im Bild – es ist kein Tierrelikt, es ist eine Stein-Agglomeration, die diese Assoziation weckt – unterstützt von einem Bildraum, der wie ein untergegangenes Terrain wirkt – ein Ur-Bild für Vergänglichkeit pur. Wasser als Übergangsmedium zwischen Leben und Tod. (OT9-II)

Motive in ihrer Eigenwirkung – in ihrem so-Sein - ohne vordergründige Erzählung sind es, alle kommen sie ohne Titel aus – und bleiben damit offen für eigene, situative Formulierungen. Die Bilder lassen der Phantasie des Betrachters Raum – man kann einen Teil seiner eigenen Wirklichkeit beisteuern, wie etwa für das folgende Bild: (OT14) 

 Hier wäre ein Titel wie Letzte Reste möglich – schmelzende Schnee-, Eiskristalle vielleicht – sie beherrschen eindeutig die Bildaussage in Richtung Vergänglichkeit.       

Für mich evozieren die Malereien die Bildkraft von kleinräumigen Landschaften - von idyllischen Mini-Landschaften unter Wasser, die keine genauere Verortung brauchen, keinen realen Ort - an welchem Gewässer die Künstlerin gerade war. Es sei denn aus geologischem Detailinteresse hakt man nach. Die Motive finden in der Ästhetik des Schönen ihren Platz, in ihrer inneren Stimmigkeit, mit der Intention, sich in jeder Komposition die darauf zu konzentrieren – etwas, was an die gute alte Harmonie denken lässt.

Nicht die Spiegelung des urbanen Lebens in schillernder Brühe begegnet, wo Treibgut herumschwimmt, Plastikbecher dümpeln – kein Lichtspiel auf öligem Fluss – das Andere, das Naturbelassene beherrscht das Bild. Die Schönheit bei sich ist gefragt. Ein schillernder Begriff - nebenbei erwähnt -, der in der zeitgenössischen Kunst zuweilen bekämpft wurde und oft noch belächelt wird. Doch längst ist verflogen, was es da mal an extrem aggressiven Zeitgeist-Strömungen gab – bis hin zum Aufruf die Schönheit sei zu zerstören (Barnett Newman). Eine aktuelle Einschätzung in diesem Für und Wider trifft der dänische Künstler isländischer Herkunft, Olafur Eliasson: Ich finde Schönheit wichtig. Kunst hatte auch in der Geschichte nie Angst vor Schönheit. Man soll sich die Freiheit nehmen, sie zu okkupieren. Sonst übernimmt sie allein die Welt der Werbung. Zwar nur eine Stimme im Pro und Contra der zeitgenössischen Kunst, doch von einem Künstler, der weltweit für seine naturbezogenen Installationen – vor allem auch seine Affinität für Wasser-Installationen - bekannt ist und dessen Wort Gewicht hat.

Es sind schon fast archäologische Spuren zu sehen, wenn sich Geröllschichten so arrangiert haben, dass sie an frühe Wegpflasterungen denken lassen – polygonalen Steinplatten ähnlich. Ocker/braunfarbene Ton-in-Ton-Malereien mit hellen, wie vom Blitzlicht hervorgerufenen Partien, aufleuchtende Sedimente: (OT11) Wie ein Spotlight auf einer Unterwasser-Bühne erscheint die Szenerie – geformt und strukturiert von der Gestaltungskraft des Wassers, von Licht und Zeit. Der Blick kann noch tiefer gehen in Schattenbereiche, die es dann offen lassen wie tief sie gründen im geheimnisvollen Dunkelwasser mit der Assoziation - Eingang Unterwelt? --

(OT13) Versunkene Spuren auch dort, wo sich Ablagerungen wie ein Steinmosaik  erstrecken.  Von kleineren Steinpartikeln bis hin zu größeren Steinblöcken sortieren sie sich zu Kompositionen wie künstlerisch in Mosaiktechnik geschaffen. Sie fügen sich zum Bild, spielen mit der Spannung von Kleinheit und Größe, wie auch mit ausgewaschenem Gestein in Großformen und glattgeschliffenen Partikeln. Steinteppich könnte man es nennen, einem Mosaikbild von Menschenhand nicht unähnlich. Nur wenige Stellen signalisieren, dass auch dies ein Wasserbild ist – eine Naturbeobachtung, die an ein Artefakt erinnert. Welche Bildformen könnten sinnfälliger das Verlöschen humaner Spuren verbildlichen als dieser polygonale Belag in seichtem Gewässer? Die Anonymisierung menschlichen Treibens und damit das Verschwinden individueller Ausdrucksformen sind vorweggenommen – vollkommen ohne Menschen - und einzig durch deren Dingbezogenheit und Assoziationskraft zum Ausdruck gebracht. Und dies auf der Schwelle von noch-im-Wasser, doch am Rande – in einem Übergangsbereich, in einem Zwischenreich!

Eines der kleineren Formate zeigt eine Szenerie von ungemeiner Schlichtheit. (OT6-I) Eine Wasserpflanze treibt ihre Blätter aus, treibt sie aus über die Wasseroberfläche und markiert die Schwelle zwischen - unter und über dem Wasser – nur dadurch wird das Element Wasser erst sichtbar. Dieser grüne Trieb ist das einzig erkennbare Motiv in einer Unterwasserwelt von verschwommener Raumtiefe. Sparsamer geht es kaum: Den Bildgrund überziehen moosartige Flächen; amorph, abstrakt gefasst ist nahezu der gesamte Unterwasserbereich. Einsamkeit, Verlorensein als Idylle – so ist hier wohl die Botschaft. Aber auch genau das Gegenteil ist nicht fern: Das Weiterführende, die Seele dieses Naturstücks steht ebenso für die sich durchsetzende Kraft des Vegetativen, für das sich-Behaupten, das Obsiegen in einem ansonsten unbelebten Umfeld.                                                                                           

Andrea Wesselis Beschäftigung mit dem Wasser als Hauptmotiv in ihrer Kunst ist eine nicht zuletzt von der Symbolik des Wassers durchdrungene Entscheidung: Wasser als Lebensquelle par excellence, universell, allumfassend. In der Symbolik des Wassers des Lebens kommt dies in den Kulturen und Mythen aller Zeiten zum Ausdruck. Das Wasser ist nunmal das  Element, das für alle Menschen allgegenwärtig ist und zugleich von existenzieller Bedeutung. Das Wasser lässt sich nicht von irgendeiner Macht prägen – außer vom Wind, vom Regen und von der Strömung – von Kräften also, die ausschließlich der Natur zugehören und die es immer gibt.

Andrea Wesselis intensive Naturbeobachtung – nun schon über Jahrzehnte hinweg - manifestiert sich in Form eines eigenen Sujets von Wasserbildern – formal changierend zwischen naturalistisch zupackender Darstellung und impressionistischer Auflösung – in Details bis hin zum nahezu Abstrakten. Wie in der malerischen Umsetzung – so auch in der thematischen Eingrenzung - bestellt Andrea Wesseli ein eigenes Feld, denn ihre Spuren im Wasser sind als Bildvorwurf ein Alleinstellungsmerkmal der Künstlerin. Sie ist auf der Suche nach der Spur der Zeit im Dinglichen – ihre Themen: Stufen der Vergänglichkeit in Moment-Aufnahmen. Hier konzentriert ablesbar: (OT26-I)

Zwischen Treibholz und Seerosen, zwischen Ablagerungsspuren auf abgestorbenen Stämmen und dem frischen Grün junger Pflanzen entwickelt sich eine komplexe Szenerie. Eine inhaltliche Spannung entsteht von Werden und Vergehen, gefasst in einem tiefen Unterwasserraum in wechselnder Transparenz. 

Andrea Wesseli findet eine ureigene Form von ästhetisch-subjektiver Wahrnehmung – unprätentiös, frisch und unmittelbar - verbunden mit der Empfindsamkeit für Licht und Schattierung, für Distanz und nahem Fokus, für Ruhe und Vergehen. Vielleicht auch aufgeladen mit individuellen Erinnerungen. Daneben lässt sie offen, wo denn der Betrachter steht. Holt er sich nasse Füße? Uns wird die Standfestigkeit zumeist verweigert – der sichere Grund ist uns entzogen… Gleichzeitig damit können uns die Bilder auch Defizite in der Wahrnehmung unserer Umwelt bewusst machen!? Auch dies eine ihrer künstlerischen Intentionen!? Ich denke-ja!

Der unverbrauchte Blick wird geboten, dem alle Dinge gleich wert sind, in Achtsamkeit für das Detail. Und dabei ist dennoch ein Moment im unmittelbaren Hier und Jetzt so festgehalten, dass er in Komposition und Aussage Bestand hat und die Bildwerdung auch trägt. Es gilt auszuwählen aus einer Fülle von gesehenen Motiven, die als fotografische Vorarbeit jedem Bild zugrunde liegen. Die Künstlerin vermeidet dabei souverän die Gefahr, im vielfältigen Genre der Wasser-Bilder abgegriffene Klischees zu bedienen oder in naheliegende Romantizismen abzugleiten. Das Aktuelle wird sozusagen zum Andauernden, das Jeweilige zum Bleibenden, und es gibt nicht das Beliebige. Doch es gibt im Nebensächlichen Neues zu entdecken. Es ist unwiederholbar – das Seherlebnis – so beschreibt es die Künstlerin im Gespräch. Selbst bei exakt selbem Ort, bei gleichen Wetterbedingungen, zur selben Uhrzeit, bei gleichem Lichteinfall – die Spuren im Wasser sind stets originär, stets anders. Ein bestimmter Moment in der Beobachtung wird schließlich gefeiert, wird zum Basis-Foto. Inwieweit dieses dann auch zur Malerei aufsteigt, ist abhängig von der Stärke des Motivs. Und dass dabei das Element Wasser Assoziationsräume öffnet, ist kein Zufall, ist konstitutiv für Andrea Wesselis Kunst, ist gleichzeitig auch eine Einladung an jeden, zusammen mit der Rezeption des bildnerischen Bestandes auch der Poesie des Wassers freien Lauf zu lassen – und dies fast im wahrsten Sinne des Wortes.

Vgl. dazu u.v.a.m.:

Rita Triebskorn, Jürgen Wertheimer
Wasser als Quelle des Lebens: Eine multidisziplinäre Annäherung
Springer Verlag  2015

Chyong – Yi Yu Das Motiv – Wasser - in der Kunst.… Dissertation  Trier  2008

Dr. Otto Martin                                             Mainz im September 2018

Text: Dr: Otto Martin

Laudatio Frau Dr: Claudia Gross - Ausstellung Museum Pachen 2020

„Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!
Alles wird durch das Wasser erhalten!
Ozean, gönn uns dein ewiges Walten.“[1] Diese Worte legt Goethe im Faust II Thales in den Mund. Und tatsächlich: Wasser ist für uns Menschen, für Fauna und Flora Grundlage allen Lebens. So geschmacklos es auch ist, kann es uns besser munden und uns mehr erfrischen als jedes andere Getränk. Schon allein deshalb haben wir eine Verbindung zu Wasser, versinken wir im Anblick des fließenden Flusses oder des wogenden Meeres. Aber auch in physikalischer Hinsicht ist Wasser etwas ganz Besonderes: Mal ist es flüssig dann fest, die Erscheinungsformen beinhalten Tropfen, Schneeflocken bis hin zu Eiszapfen. Kein Wunder also, dass sich auch die Künstler dem Element angenommen haben. Im Barock kreierten sie etwa Wasserspiele aus Brunnen, künstlichen Wasserläufen und Teichen. Aber auch als Bildmotiv hat es seine Tradition, sei es symbolisch, stilisiert, realistisch oder abstrahiert wiedergegeben. Die Darstellung eines auf einer Wasseroberfläche auftreffenden Tropfens, der Spiegelung auf einem Gewässer oder der wogenden Brandung faszinierte und fasziniert Künstler und Betrachter gleichermaßen. Auch Andrea Wesseli ist dem Zauber des Wassers verfallen.  Wenngleich es hier nicht um Wellenspiel und Wassergewalten geht, sondern um ruhige Gewässer, um stille Gewässer, wie wir sie manchmal in Wäldern hinter vermoosten Steinen entdecken, weil uns ein leises Plätschern hingelockt hat. Für Andrea Wesseli ist es dabei besonders wichtig, den Blick der Bildbetrachter auf das Unscheinbare zu lenken. Um diese leise Natur zu finden, reist die Künstlerin umher, überall dorthin eben, wo es Wasser gibt, also etwa in die Eifel zu den Maaren oder an die landschaftlich schönen Seen in Bayern. Auch in ihrer Wahlheimat, in Bingen, wird sie fündig. Hier interessiert sie sich für das beruhigte Wasser zwischen den Buhnen, auch Kribben genannt, am Rhein. Auf ihren Streifzügen macht sie viele Fotos von ihrem bevorzugten Motiv. Dabei wird die Komposition auch schon bei der fotografischen Vorarbeit bedacht. Die Auswahl der Aufnahmen passiert zurückgekehrt ins Atelier: Dort betrachtet sie die zahlreichen Fotografien auf ihre malerische Tauglichkeit hin. Zumeist sind die später entstehenden gemalten Bilder nahe an den Fotos, aber manchmal lässt die Künstlerin im Malprozess auch eine Veränderung zu.

Die Leinwände sind lasierend bemalt. D.h. es wird eine dünne Acrylfarbschicht über die andere gelegt, sodass der nicht-deckende Farbauftrag, die darunterliegenden Schichten durchscheinen lässt. Die Künstlerin beschreibt ihr Vorgehen mit ihren eigenen Worten wie folgt: „Das Leinen wird - meistens mit Van Dyke Braun - vorgrundiert und das Motiv in vielen Schichten in der Helligkeit und Farbigkeit langsam herausgearbeitet. Viele meiner Motive leben von sich überlagernden Wasserschichten, die ich ... in sich überlagernde Farbschichten übertrage. Mal mehr, mal weniger durchscheinend.“[2]

Um die fotorealistische Qualität ihrer Motive, also die hohe Stofflichkeit des Dargestellten, zu verstärken integriert sie in manchen Gemälden Naturmaterialien wie Holz, Papier, Bast oder Gräser. Es hat sie daran interessiert, dass die Hinzufügungen die Haptik des Bildes verändern.

Ganz naturgetreu also gibt die Künstlerin ihren Blick auf ein Stück Natur für uns wieder. Wir sehen die Spiegelung von Halmen und Blättern an einer Ufersituation mit Steinen oder leicht aufschäumendes Wasser, das einem Bachverlauf folgend zwischen größeren und kleineren Kieseln hindurch sprudelt oder aber wir blicken durch das glasklare Wasser geradewegs auf den Grund des Teichs. Unterhalb des Wasserspiegels sind die grauen Steine mit grünen Algen überzogen. Dann wieder blendet uns fast die Reflexion der Sonne in einer kleinen Pfütze zwischen Felsen. Mal interessiert sich die gebürtige Münchnerin für Wasserpflanzen, die auf der Tümpeloberfläche driften, dann wieder hält ein Stück Holz, das über und in das Wasser ragt, sie in Bann. Wie wenn sie mit der Kamera die Natursituation heranzoomen wollte, präsentiert sie uns auf großformatigen Leinwänden eine ausschnitthafte Landschaft.

Andrea Wesseli bietet uns eine ganz exakte Wiedergabe der Wirklichkeit mit den Mittel der Malerei. Und das in einer Zeit, in der alle überall und zu jeder Zeit alles mit dem Handy fotografieren. Sie zeigt uns auf, wie brillant und schön Spiegelung und Detail, Lichteffekt und Farbigkeit in einem fotorealistischen Werk herüberkommen. Und es ist ihr wichtig, zu zeigen wie facettenreich Wasser ist. „Jedes Wasser bewegt sich anders“, sagt sie im Künstlervorgespräch und denkt dabei an den Wind, der die Wasseroberfläche anders bewegt, als es der Verlauf eines Baches tut. Aber auch bei einer stillen Oberfläche, hat die Künstlerin beobachtet, gibt es eine Bewegung, eine die einer Symphonie gleicht. Es kann ein Licht sein, das vom Grund herauf scheint, das Andrea Wesselis Interesse weckt. Sie entdeckt immer wieder etwas Neues und so gibt es für sie auch keinen Grund, sich von ihrem bevorzugten  Sujet abzuwenden.

Sie betrachtet sich selbst als Beobachterin. Also folgen wir ihrer Einladung uns auf die von ihr beobachteten oder gefundenen Landschaftsdetails einzulassen: OT 36 hat die Künstlerin im vergangenen Jahr mit Acryl auf eine 1 Meter 58 x 1 Meter große Leinwand gemalt und Naturmaterialien hinzugefügt. Das gelagerte Rechteck zeigt in Nahsicht einige Felsen, die von Wasser umspielt werden. Da im linken Bildbereich die Steine neben-, an und übereinander situiert sind, können wir daraus schließen, dass dies der Uferbereich ist und der Bach oder Teich sich nach rechts aus dem Bildbereich hinaus ausbreitet. Wir sehen von oben auf die Situation herab, weshalb wir sowohl auf die Felsen als auch auf die Oberfläche des stehenden Wassers Aufsicht haben. Daher nehmen wir eine Spiegelung des Geästes über uns auch wahr. Gleichzeitig suggerieren die Verschattungen rechts im Bild, das wir durch das klare Wasser den Grund erahnen können. Andrea Wesseli setzt auf eine ausdifferenzierte Gesamtfarbigkeit des Gemäldes, die warmen Erd- und Grüntöne überwiegen dabei. Das kühlere Blau, in der Spiegelung des Himmels durch die Bäume, ist in der unteren Bildmitte zentriert, kehrt aber an verschiedenen Stellen des Gemäldes wieder. Das gemalte, also illusionierte Licht, ist diffus, als befänden wir uns unter einem Blätterdach in einem schummrigen Wald. Diesen Eindruck verstärken die gebrochenen Farben, die die Künstlerin für ihr Landschaftsgemälde einsetzt.

Wasser ist eines der vier Elemente und es ist eine Macht. Es kann über Leben und Vergehen entscheiden und zwar sublimer Weise, sowohl mit einem Zuviel, als auch einem Zuwenig an Wasser. Wenn es uns über die Hände fließt, empfinden wir es als weich, aber durch ständiges Fließen etwa schleift es Steine rund und Felsen ab.  In einer Besprechung der Ausstellung „Über Wasser“, die 2015 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen war und sich ausschließlich mit der Darstellung von Wasser in der Kunst widmete, heißt es: „Wasser. Dieses eine Wort löst bei uns eine Kette von Assoziationen aus, die alle eines gemein haben: Hier geht’s ums Ganze. Existentiell, bedroht, rettend, knapp, verschmutzt, verschlingend, mystisch, faszinierend schön in seinen wechselnden Erscheinungsformen...“[3] Wie viel denken wir über das Wasser nach, das uns hier in Mitteleuropa jeder Zeit zur Verfügung steht? Jedenfalls aus dem Wasserhahn. Ein bisschen anders verhält es sich da schon mit Gewässern, wie sie hier abgebildet sind. Der Wasserspiegel des Gelterswoog bei Kaiserslautern zum Beispiel ist bedenklich weit abgesunken – sogar das Eisschwimmen musste daher in dieser Saison ausfallen. Der Wasserstand des ebenfalls in Kaiserslautern liegenden Vogelwoogs war im Sommer 2019 bei einem Normalwasserstand von 80 cm auf 20 cm abgesunken. Solche Veränderungen nimmt Andrea Wesseli am Rhein ebenfalls wahr, wenn etwa das Wasser zwischen den Kribben durch den heißen Sommer bis auf eine kleine Pfütze verschwunden ist.  Wollen wir also hoffen, dass die hier dargestellten Idyllen nicht irgendwann zu einem Paradies werden, aus dem wir endgültig verjagt wurden.

© Dr. Claudia Gross, Kunsthistorikerin Kaiserslautern

[1] Goethe zitiert nach https://gutenberg.spiegel.de/buch/der-tragodie-zweiter-teil-3645/35 18.12.2019

[2] Email vom 19.12.2019

[3] https://www.fresko-magazin.de/ueber-wasser/ 01.12.2019